Neuer Fall in Baden-Württemberg

Gruppenvergewaltigungen: Wer die Täter sind, woher sie kommen, warum sie es tun FOCUS-Online-Reporter Göran Schattauer

Montag, 25.11.2019

Erneut meldet die Polizei eine mutmaßliche Gruppenvergewaltigung, diesmal im Landkreis Biberach. Das Opfer: ein 14-jähriges Mädchen. In der Bevölkerung lösen solche Verbrechen Empörung aus. Viele fragen sich: Erfahren Gruppentaten wie in Freiburg, Mülheim oder jetzt in Biberach nur mehr Aufmerksamkeit als früher - oder sind sie Produkte deutscher Einwanderungspolitik? Die Fakten.

dpa/AdobeStock/iStock/Composing: Sascha Weingartz Einer der Angeklagten im Freiburger Gruppenvergewaltigungs-Prozess.

Allein das Wort ruft Abscheu und Entsetzen hervor: Gruppenvergewaltigung. Davon ist immer dann die Rede, wenn mehrere Männer eine Frau überfallen und sie missbrauchen. Ungeschützt. Brutal. Menschenverachtend.

Diese Form von Straftaten hat es auch früher schon gegeben. Doch in jüngster Zeit mehren sich die Schlagzeilen. Erst an diesem Montag machte die Polizei einen erschreckenden Fall aus dem Kreis Biberach öffentlich.

Drastische Fälle: Frauen über Stunden hinweg missbraucht

Die Gewaltdelikte sind vielen Menschen in schlimmer Erinnerung, weil überregionale Medien intensiv darüber berichtet haben, auch FOCUS Online. Sie als Einzelfälle zu bezeichnen, wäre verharmlosend und sachlich nicht korrekt.

Polizei: Pro Jahr mehr als 250 Gruppenvergewaltigungen

Allein für 2017 sind in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) deutschlandweit 258 Gruppenvergewaltigungen verzeichnet. Von 2013 bis 2015 schwankten die Fallzahlen zwischen 254 und 294. Für das Jahr 2016 sind sogar 524 entsprechende Strafanzeigen ausgewiesen.

Nach schweren Sexualdelikten, insbesondere nach Morden wie an Maria L. in Freiburg (2016) und Susanna F. in Wiesbaden (2018) diskutiert die Öffentlichkeit hitzig über die Ursache solcher Verbrechen und die Herkunft der Täter. Begonnen hatte die Debatte spätestens nach dem "Silvesterschock" von Köln 2015/2016, als Gruppen junger Männer aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum Hunderte Frauen sexuell belästigten.

AdobeStock/iStock/Composing: Sascha Weingartz Beschuldigte in aktuellen Verfahren meist aus dem Ausland

Gerade in den sozialen Netzwerken werden die Taten politisch instrumentalisiert. Für die einen sind sie allein das Ergebnis der deutschen Einwanderungspolitik, die anderen verurteilen solche Deutungen als rassistisch. Doch wo liegt die Wahrheit?

Ein Blick auf die großen aktuellen Verfahren zeigt, dass viele Tatverdächtige junge Männer mit Migrationshintergrund sind.

Unter den Angeklagten in Freiburg finden sich - neben einem Deutschen - acht Syrer, ein Iraker und ein Algerier. Im Düsseldorfer Fall stammen die Beschuldigten aus Brasilien, Marokko und Angola. Bei der Tat im Alb-Donau-Kreis kommen die Verdächtigen aus Afghanistan, dem Irak und Iran. Der mutmaßliche Haupttäter der Gruppenvergewaltigung in Mülheim an der Ruhr gehört einer bulgarischen Familie an. Im Fall der mutmaßlichen Vergewaltigung von Biberach ist ein Verdächtiger Deutscher, die beiden anderen sind Syrer.

In den genannten Fällen kommen die Täter also zum überwiegenden Teil aus anderen Ländern, anderen Kulturen. Aber erlaubt dies eine Verallgemeinerung? Wie sieht die Faktenlage insgesamt aus? Über welche belastbaren Daten verfügen die Sicherheits- und Justizbehörden?

Kriminalstatistik: Zahl tatverdächtiger Zuwanderer gestiegen

Laut Kriminalstatistik für 2018 sind die Zahlen im Deliktsfeld "Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff im besonders schweren Fall" im Vergleich zu 2017 um etwa 18,2 Prozent zurückgegangen - von 11.282 auf 9234 Straftaten.

Demgegenüber ist die Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer(*) prozentual leicht gestiegen: 2018 registrierte die Polizei insgesamt 8047 Tatverdächtige, darunter 1316 Zuwanderer. Das waren rund 16,3 Prozent aller Tatverdächtigen bei diesen Delikten. Im Jahr zuvor waren es noch knapp 15,9 Prozent.

Auch im gesamten Deliktsfeld "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" stieg der Anteil tatverdächtiger Zuwanderer laut Bundeskriminalamt (BKA) deutlich - von 5258 im Jahr 2017 auf 6046 im Jahr 2018. Ein Plus von rund 15 Prozent. Die meisten kamen wie bereits 2017 aus Syrien (1271 Tatverdächtige), Afghanistan (1180) und dem Irak (572).

Hochbrisantes Thema: Sexualdelikte und Zuwanderung

Die Aussagekraft dieser Zahlen ist umstritten. Tatjana Hörnle, Direktorin am Max-Planck-In-stitut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, hat sich intensiv mit dem Zusammenhang zwischen Sexualdelikten und Zuwanderung beschäftigt.

"Am rechten Ende des Meinungsspektrums wird Zuwanderern pauschal und undifferenziert eine Neigung zu sexuellen Gewalttaten zugeschrieben", so Hörnle.

"Gegenreaktionen aus dem linksliberalen Lager neigen dazu, Auffälligkeiten bei der Tatenhäufigkeit oder bei der Herkunft der Täter zu verneinen."

Warnung vor Dramatisierungen und Pauschal-Urteilen

Die Professorin hat die Polizeistatistiken der vergangenen Jahre analysiert und warnt vor "Dramatisierungen". Hörnle: "Sexualdelikte durch Zuwanderer sind kein Massenphänomen."

Dass im Jahr 2017 etwa 0,15 Prozent bis 0,2 Prozent der männlichen Zuwanderer ab 16 Jahren wegen sexueller Übergriffe als Täter erfasst wurden, bedeute umgekehrt auch, dass dies bei 99,85 bis 99,8 % nicht der Fall war. "Pauschalisierende, undifferenzierte Urteile über männliche Zuwanderer sind daher eindeutig unangebracht."

Professorin: Befunde der Kriminalstatistik nicht kleinreden

Gleichwohl dürfe man die zum Teil auffälligen Befunde der Kriminalstatistik nicht kleinreden, so die Strafrechts-Expertin. Einer dieser Punkte sei, dass im Jahr 2017 bei den Straftaten "Vergewaltigung und sexuelle Nötigung/Übergriffe" 15,9 Prozent aller Tatverdächtigen Zuwanderer waren (1495 von insgesamt 9414 Tatverdächtigen).

Eine interessante Frage, die sich aus dieser Zahl ergibt: Begehen Zuwanderer im Vergleich zu Deutschen überproportional viele Sexualstraftaten?

Um dies zu beantworten, muss man die Zahl der Tatverdächtigen in Relation zur jeweiligen Gruppen-Gesamtgröße setzen. Dies wird üblicherweise über die sogenannte "Tatverdächtigen-Belastungsziffer" (TVBZ) ermittelt. Gemeint ist die Anzahl der von der Polizei registrierten Tatverdächtigen pro 100.000 Einwohner des entsprechenden Bevölkerungsanteils.

Analyse: Männliche Zuwanderer überproportional auffällig

Nach einem vergleichenden Studium der Fakten kommt Professorin Hörnle zu dem Schluss, dass für männliche deutsche Tatverdächtige zwischen 14 und 29 Jahren ein TVBZ von 36,1 bis 61,5 anzusetzen ist. Bei männlichen Zuwanderern ab 16 Jahren liegt dieser Wert bei zirka 150 bis 200 - also um ein Vielfaches höher.

Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Anzeige-Quote bei ausländischen Verdächtigen deutlich höher ist als bei deutschen Tätern - der eklatante Unterschied bei den Werten zur Kriminalitätsbelastung lässt sich damit nicht erklären. Für die Strafrechts-Expertin steht fest: "Die Hypothese, dass Zuwanderer im gleichen Umfang wie gleichaltrige deutsche Männer Sexualtaten begehen, ist zurückzuweisen."

Die Zahlen deuteten vielmehr darauf hin, "dass es bei manchen Männern aus der sehr heterogenen Gruppe der Zuwanderer kriminogene Faktoren gibt".

Ursachen: Gewalterfahrung, Gewaltakzeptanz, Machokultur

Ausschlaggebend seien die "Sozialisation im herkunftsgeprägten sozialen und kulturellen Umfeld", etwa das niedrige Bildungsniveau, Gewalterfahrung, Gewaltakzeptanz und Machokultur. Hinzu kämen die "aktuellen Lebensumstände" in Deutschland, zu denen oft ein "ungesicherter Aufenthaltsstatus" gehöre. Personen, deren Asylantrag abgelehnt worden ist, seien erfahrungsgemäß anfälliger für Gewaltdelikte, so Hörnle.

Expertin: Auch Deutsche grob rücksichtslos gegenüber Frauen

Der Kriminologe Christian Pfeiffer verweist darauf, dass in islamisch-konservativ geprägten Ländern "eine schlichte Macho-Kultur vorherrscht, die wir ungewollt importieren". Jungen Männern aus solchen Ländern sei vermittelt worden, "dass Frauen sich zu fügen haben". Diese Denkstrukturen müssten aufgebrochen werden. Pfeiffer: "Es muss diesen Kerlen von vornherein klar gemacht werden, dass Frauen bei uns selbstbestimmt und gleichberechtigt sind."

Institutsdirektorin Hörnle sieht das ähnlich. Sie erinnert jedoch daran, dass die Mehrzahl der Sexualstraftäter Deutsche sind. Auch unter Einheimischen gebe es Gruppen, die "grob empathie- und rücksichtsloses Verhalten gegenüber Frauen" zeigen.

(*) Als Zuwanderer führt die Polizei ausschließlich tatverdächtige Personen mit dem Status "Asylbewerber", "Schutzberechtigter und Asylberechtigter, Kontingentflüchtling", "Duldung" und "unerlaubter Aufenthalt".


Quelle: focus.de vom 29.11.2019